Sukkot – „ihr sollt euch freuen vor dem HERRN“
Die Festtage des Herrn markieren für mich persönlich wichtige Meilensteine mit meiner Familie. Ich halte diese Momente auf Fotos fest: das erste Chanukka mit unserem Baby, später das erste Chanukka mit zwei Kindern. Doch in diesem Jahr hat Sukkot eine besondere Bedeutung für mich, denn es ist das erste Sukkot ohne meinen Vater. Für mich ist dieses Fest stark mit ihm verknüpft – nicht nur, weil sein Geburtstag in dieser Zeit liegt, sondern weil er Sukkot immer auf besondere Weise gestalten wollte und jedes Jahr eine neue Idee hatte. Einmal verbrachten wir die gesamte Festwoche als Gemeinde zusammen in einer Sukka. Wir schliefen, aßen und lebten dort und gingen von der Sukka aus zur Schule und zur Arbeit. Ein anderes Jahr verbrachte mein Vater die Woche auf einem Campingplatz und wurde von den Gemeindemitgliedern abwechselnd besucht.
In einer Woche wäre mein Vater 58 Jahre alt geworden, und sein früher Tod hat uns die Kürze des Lebens und dessen plötzliches Ende deutlich vor Augen geführt. Auch König Salomon haderte mit dieser Realität im Buch Kohelet (Prediger), in dem er feststellt: „Alles ist sinnlos, weil endlich.“ Dieser Gedanke knüpft an das an, worüber wir an Jom Kippur gesprochen haben: eine neue Perspektive auf Zeit zu gewinnen. Eine weitere Möglichkeit, der Schwere dieser Erkenntnis zu begegnen, bietet Sukkot.
Das Ziel von Sukkot
3. Mose 23:39-43, beschreibt das Gebot von Sukkot:
„So sollt ihr nun am fünfzehnten Tag des siebten Monats, wenn ihr den Ertrag des Landes eingebracht habt, das Fest des HERRN halten, sieben Tage lang; am ersten Tag ist ein Feiertag und am achten Tag ist auch ein Feiertag. Ihr sollt aber am ersten Tag Früchte nehmen von schönen Bäumen, Palmenzweige und Zweige von dicht belaubten Bäumen und Bachweiden, und ihr sollt euch sieben Tage lang freuen vor dem HERRN, eurem Gott. Und so sollt ihr dem HERRN das Fest halten, sieben Tage lang im Jahr. Das soll eine ewige Ordnung sein für eure [künftigen] Geschlechter, dass ihr dieses im siebten Monat feiert. Sieben Tage lang sollt ihr in Laubhütten wohnen; alle Einheimischen in Israel sollen in Laubhütten wohnen, damit eure Nachkommen wissen, dass ich die Kinder Israels in Laubhütten wohnen ließ, als ich sie aus dem Land Ägypten herausführte; ich, der HERR, bin euer Gott.“
Das Ziel von Sukkot lässt sich also in zwei Kernaussagen zusammenfassen:
- Wir und unsere Kinder sollen uns daran erinnern, dass Gott uns während des Auszugs aus Ägypten in Laubhütten wohnen ließ.
- וּשְׂמַחְתֶּ֗ם לִפְנֵ֛י יְהוָ֥ה (Usemachtem lifnej Adonai) – „Und ihr sollt euch freuen vor dem Herrn“: das Gebot zur Simcha, zur Freude.
Deshalb wird Sukkot auch „Zman Simchatejnu“ genannt, die „Zeit unserer Freude“. Bei keinem anderen Fest wird so viel über Freude gesprochen. Gott gibt uns das Gebot uns zu freuen. Dabei wäre es doch viel sinnvoller bei Pessach: Freut euch über die Befreiung aus Sklaverei, oder Shavuot: Freude über die Tora und Bund. Stattdessen, sollen wir uns über Hütten freuen? Das ist doch nichts Erfreuliches. Statt dass wir des Einzuges ins gelobte Land gedenken und uns daran erfreuen, schickt Gott uns gedanklich in die beschwerliche Zeit der Wüstenwanderung und wir sollen uns freuen. Manchmal ist der Weg das Ziel.
In der Wüste waren wir Gott besonders nahe. Wir sahen die Wolkensäule und die Feuersäule, und so erinnert uns Sukkot an die intime, lebendige Beziehung zu Gott, die wir in dieser Zeit hatten. Damals waren wir in einer Sukka zwar nicht besonders geschützt, aber Gott sorgte für uns. Heute denken wir oft, auf eigenen Füßen zu stehen, doch alles kommt von IHM. Sukkot erinnert uns daran, dass unser Leben immer noch in seiner Hand liegt, auch wenn wir das manchmal vergessen.
Eine Sukka ist ein einfaches, vorübergehendes Zuhause und erinnert uns daran, dass dieses Leben nur eine temporäre Behausung ist. Gottes Segen und den Komfort, den wir täglich erfahren, können wir so neu schätzen lernen. Die Sukka weckt in uns die Dankbarkeit für das, was wir haben.
Freude im Jetzt
Vor Erev Sukkot war ich schlecht gelaunt. Wir waren nicht gut in das Fest gestartet, und ich fragte meine Frau: „Wie soll ich morgen fröhlich sein?“ Da wurde mir bewusst: Freude ist eine Entscheidung, genauso wie die Liebe. Sie hängt weniger von äußeren Zeichen ab, sondern von einer inneren Haltung.
Rav Jonathan Sacks beschreibt den Unterschied zwischen Glücklichsein und Freude: Glücklichsein betrachtet das Leben als Ganzes, doch Freude – Simcha – wird im Moment erlebt. Man kann auch inmitten schwieriger Umstände Simcha empfinden, denn diese Freude ist punktuell, sie lebt im Jetzt.
So haben wir zum Beispiel die Hochzeit meiner Schwester gefeiert, obwohl in dieser Zeit Raketenangriffe auf Israel stattfanden.
Kohelet sieht alles als sinnlos an, weil es unmöglich ist, dem Tod zu entkommen. Doch Simcha bietet einen Ausweg:
„Geh hin, iss dein Brot mit Freude und trink deinen Wein mit frohem Herzen! Denn längst hat Gott Wohlgefallen an deinem Tun. Deine Kleider seien weiß zu jeder Zeit, und das Salböl fehle nicht auf deinem Haupt. Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst, alle Tage deines nichtigen Lebens, das er dir unter der Sonne gegeben hat, all deine nichtigen Tage hindurch! Denn das ist dein Anteil am Leben und an deinem Mühen, womit du dich abmühst unter der Sonne.“ Prediger 9:7-9.
Hab keine Angst vor dem Morgen. Lebe im Moment und habe Simcha. Wenn du Angst vor dem Tod hast, lerne, im Jetzt zu leben und diesen Moment zu genießen. Wie Prediger 5:19 sagt:
„Denn er denkt nicht viel an die Kürze seiner Lebenstage, weil Gott ihm die Freude seines Herzens gewährt.“
Unser Körper ist wie eine Sukka, eine temporäre Behausung. Weisheit, Reichtum und Überfluss – all das kann uns nicht vor dem Tod retten. Geh davon aus, dass du morgen nicht mehr da bist! Sitze in der Sukka, ausgesetzt dem Wind, der Sonne oder dem Regen, und finde Freude in diesem Moment mit Gott.
Warum eigentlich Sukka?
Waren es nicht eigentlich Zelte, in denen wir lebten? Warum sollten wir uns an Hütten erinnern? Das hebräische Wort „Sukka“ bedeutet „bedecken“ oder „Zuflucht“ und könnte durchaus ein Zelt meinen. Doch eine Laubhütte unterstreicht den fragilen Charakter unseres Lebens auf eine besondere Weise: Die Sukka verstärkt die Erinnerung an das Gefühl, von Gottes Schutz abhängig zu sein. Ein Zelt bietet eine gewisse Illusion von Schutz, doch eine Sukka macht uns unsere Schutzlosigkeit und Zerbrechlichkeit unmissverständlich bewusst.
Einige unserer Stammväter Abraham, Isaak und Jakob lebten ein Leben lang im Zelt. Ich war bei Beduinen in der Wüste und habe dort eine Nacht verbracht. Sie hatten in Zelten fest installierte Sanitäranlagen, Duschen, Klos, Fernseher, Internet. Ein Zelt bietet vermeintlichen Schutz, gibt uns das Gefühl/ Illusion von Sicherheit, aber eine Sukka macht unsere Schutzlosigkeit und Fragilität ganz offensichtlich. Wir können nicht anders, als uns auf Gott zu verlassen.
Selbst als wir in Eretz Israel zur Ruhe kamen und Wurzeln fassten, sollen wir nie vergessen, woher wir kommen. Sukkot ist eine Art „Detox“ gegen die sogenannte „hedonische Tretmühle“: Gewöhnung an Wohlstand und ein Anstieg der Ansprüche machen uns blind für das, was wir bereits haben. Für eine Woche verlassen wir den Komfort. Wir lernen, das Zuhause wieder zu schätzen, die eigenen Erwartungen neu zu justieren und Dankbarkeit zu empfinden.
Zelt oder Hütte? An manchen Stellen beides: Mishkan (Wohnstätte), aber wird mal als Stiftshütte bezeichnet und mal als Zelt der Begegnung. Wichtig ist die Eigenschaft des zeitlichen. Sie wurde abgebaut und an anderer Stelle aufgebaut. Es war kein fester Bau, bis David das für unwürdig erachtet.
da sagte der König zum Propheten Nathan: Siehe doch, ich wohne in einem Haus aus Zedern, während die Lade Gottes in dem Zelt wohnt.
2. Samuel 7:2
Gott antwortet in 2. Samuel 7:4-7
Und es geschah in jener Nacht, da geschah das Wort des HERRN zu Nathan: Geh hin und sage zu meinem Knecht, zu David: So spricht der HERR: Du willst mir ein Haus bauen als Wohnung für mich? Wahrhaftig, nie habe ich in einem Haus gewohnt von dem Tag an, als ich die Söhne Israel aus Ägypten heraufgeführt habe, bis zum heutigen Tag; sondern ich bin umhergezogen in Zelt und Wohnung. In der ganzen ⟨Zeit⟩, die ich unter allen Söhnen Israel umhergezogen bin, habe ich ⟨da jemals⟩ zu einem der Stämme Israels, dem ich gebot, mein Volk Israel zu weiden, ein Wort geredet und gesagt: Warum habt ihr mir nicht ein Haus aus Zedern gebaut?
Gott begnügte sich mit einem Zelt und bat nicht um einen festen Tempel. Interessant ist, dass der permanente Tempel sich als temporär herausstellte (zwei Mal zerstört) und der temporäre Mishkan als permanent. Wichtig ist aber das Symbol der Wohnung Gottes inmitten seines Volkes, da dies auch eine prophetische Seite hat:
Messias Herrschaft und Sukkot
Sacharja 14:16-17 beschreibt, dass in der Zukunft Sukkot ein Fest für alle Nationen sein wird:
Und alle, die übrig geblieben sind von allen Völkern, die gegen Jerusalem zogen, werden jährlich heraufkommen, um anzubeten den König, den HERRN Zebaoth, und um das Laubhüttenfest zu halten. Aber über die Geschlechter auf Erden, die nicht heraufziehen werden nach Jerusalem, um anzubeten den König, den HERRN Zebaoth, über die wird’s nicht regnen.
Schon bei der Einsetzung des Festes gibt es Hinweis auf die Nationen. Zu Sukkot sollten jeden Tag Opfer dargebracht werden – insgesamt 70 Stiere. Nach rabbinischer Tradition stehen diese Opfer für 70 Nationen der Welt. Israels Opfer finden hier also stellvertretend statt für alle Menschen, was den Auftrag unseres Volkes reflektiert: Licht zu sein für die Völker. Zuvor aber sieht Sacharja eine andere Vision:
Sacharja 3:1 Und er ließ mich den Hohenpriester Jeschua sehen, wie er vor dem Engel des HERRN stand; der Satan aber stand zu seiner Rechten, um ihn anzuklagen.
Sacharja 3:9 […] und ich werde die Sünde dieses Landes an einem einzigen Tag entfernen!
Sacharja 6:11-12
und nimm Silber und Gold und mache eine Krone daraus und setze sie Jeschua, dem Sohn Jozadaks, dem Hohenpriester, aufs Haupt! Und du sollst zu ihm reden und sagen: So spricht der HERR der Heerscharen: Siehe, ein Mann, dessen Name »Spross« ist, denn er wird aus seinem Ort hervorsprossen und den Tempel des HERRN bauen.
Bevor alle Völker an Sukkot nach Jerusalem kommen um Gott anzubeten, gibt es einen Hohepriester Namens Jeschua und sein Vater heißt Jozadak (Gott hat rechtfertigt). Und Gott nimmt an einem Tag alle Sünde weg. Und dieser Hohepriester Jeschua bekommt eine Krone und besteigt einen Tron und baut seinen Tempel.
Sacharja 2:14-15
Juble und freue dich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und werde in deiner Mitte wohnen, spricht der HERR. An jenem Tag werden sich viele Heidenvölker dem HERRN anschließen, und sie sollen mein Volk sein; und ich werde in deiner Mitte Wohnung machen, und du wirst erkennen, dass mich der HERR der Heerscharen zu dir gesandt hat.
An diese Prophezeiung knüpfen die Evangelien an:
Johannes 1,14
Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns; und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Das Motiv des Mashiach tritt in der Schrift immer wieder in Verbindung mit Sukkot auf. Als würde der Mashiach ständig seine Sukka dabeihaben, die Shechina – die Gegenwart des himmlischen Vaters, der mobile Mishkan.
Als Jeshua zu Pessach in Jerusalem einreitet breiten die Menschen Palmzweige vor ihm aus und rufen Hoshana. Beides finden wir in Sukkot.
Und auch in der Offenbarung (Kap.7) finden wir dieses Zeichen: Die Gläubigen Israels und der Nationen stehen vor dem Tron Gottes mit Palmzweigen. Der Lulav ist vielleicht ein messianischer Code, den Gott uns schon in der Tora mitteilt, mit dem Gebot diesen Strauß zu machen.
Jeshua an Sukkot
Auch Jeschua hat Sukkot gefeiert und ging zum Tempel um dort zu lehren.
Johannes 7:37-39 Aber am letzten, dem großen Tag des Festes stand Jeshua auf, rief und sprach: Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus seinem Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, welche an ihn glauben; denn der Heilige Geist war noch nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.
Warum sagt Jeshua das am letzten Tag von Sukkot? Am letzten Tag gab es eine Wasserzeremonie (nisukh hamayim): Aus dem Teich Shiloah wurde Wasser genommen und in einer Prozession in den Tempel gebracht und über den Altar ausgegossen.
Jeshua spricht hier einen Durst an, den jeder Mensch irgendwann verspürt: Durst nach Sinn, Nähe zum Schöpfer – du musst nicht weit gehen – trink. Und nicht nur dein Durst ist gestillt, sondern du wirst selbst zu einer solchen Quelle. Dieses Bild war mächtig: jeder, der in Israel gewohnt hat, weiß was Durst ist. Lasst uns das Wasser nicht zurückhalten – die Menschen haben durst und wir wissen, was hilft.
Kollektiv statt individuell
Sukkot ist ein Gemeinschaftsfest, nichts Individuelles. Wir sollen uns mit unseren Kindern gemeinsam erinnern. Beim Auszug aus Ägypten wurde die Familie im Haus verschont, an dessen Pfosten das Blut des Lammes war. Und wenn man allein war, schloss man sich einer Familie an. Genauso bauen wir eine Sukka nicht jeder für sich, sondern für die Familie und laden Gäste ein.
Wir können unsere Kinder nicht zwingen im geschützten Haus oder der Sukka zu bleiben. Genauso können wir sie nicht zwingen uns im Glauben zu folgen, aber wir können den Rahmen dafür schaffen, die Umstände, die Kultur. Damit unsere Kinder das lieben und schätzen lernen.
Der Herr erfülle uns alle dafür mit seinem lebendigen Wasser, dem Heiligen Geist, auf das wir wirkliche Simcha haben.